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ver.de Gründerin Dr. Marie-Luise Meinhold im Interview

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ver.de Gründerin Dr. Marie-Luise Meinhold im Interview

Dr. Marie-Luise Meinhold

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Du hast lange in der klassische Versicherungsbranche gearbeitet. Jetzt gründest Du selbst eine Versicherung*. Wir freuen uns auf einen kleinen Überblick über ver.de, von der Gründung bis hin zu den Zukunftsplänen.

Wann hast Du Dich für die Gründung einer nachhaltigen Versicherung* entschlossen?

Mit der Idee habe ich schon lange gespielt, also im Grunde seit mir aufgefallen ist, welchen Beitrag Versicherungen zu Gemeinwohl und Nachhaltigkeit leisten könnten.

Damals beschäftigte ich mich im Rahmen eines berufsbegleitenden Studiums mit dem Thema Nachhaltigkeit. Da ich in der Versicherungswirtschaft arbeitete, fragte ich mich, was Versicherungen eigentlich Gutes machen können.

Und es fiel mir wie Schuppen von den Augen: Versicherungen bewegen immens große Summen an Geld. Und wenn dieses Geld nachhaltig und sozial investiert werden würde, dann wäre die Finanzierung für vieles Gutes kein Problem mehr.

Der Entschluss reifte 2011, zu einer Zeit, als Nachhaltigkeit in der Finanzwirtschaft noch gar kein Thema war. Doch bis ich den Schritt ging und entschloss, das Thema selbst anzugehen, vergingen noch noch ein paar Jahre. Bis dahin bemühte ich mich erst einmal, das Thema bei meinem alten Arbeitgeber voranzubringen und danach mit bestehenden Versicherungen zu sprechen. Doch da ging einfach nichts voran und so sah ich Jahre später nur noch die Möglichkeit, eine neue Versicherung zu gründen, die von Tag 1 nachhaltig und transparent ist. 

Die Finanzbranche ist sehr männlich dominiert. Vor welche Hürden hat Dich das als Frau gestellt?

Ich wurde oft (ungefragt) mit der individuellen Meinung anderer über meine Lebenssituation als arbeitende Mutter und Ehefrau konfrontiert und dementsprechend vorverurteilt.

So wurde mir zum Beispiel zu einem Branchenwechsel geraten oder Investitionsgespräche abgebrochen, sobald ein Kindergeräusch zu hören war. Auch häufig dabei war die Frage, wer denn gerade meine Kinder betreue. Eine aus meiner Sicht unangemessene Frage, die meinem Mann nie gestellt wurde.

In Bezug auf grundlegende Strukturen der Branche musste ich feststellen, dass sich mein Führungsstil und meine Herangehensweise stark von dem in der Branche üblichen dominanten Führungsstil unterschied.

Meiner ist auf Kooperation und eine Begegnung auf Augenhöhe ausgelegt. Auch mein Kommunikationsstil ist so. Das wird mir von manchen Männern (und manchmal auch von Frauen) als „Schwäche“ ausgelegt. Und führt dann zu unkollegialem, unkooperativen, ja bis hin zu übergriffigen Verhalten bei (potentiellen) Kolleg*innen.

Bei Investor*innen, die auch aus einem sehr machtbewussten, dominanten Umfeld kommen, ist das teilweise auch so: Nach dem Prinzip der Selbstähnlichkeit „suchen“ sie (bewusst oder unbewusst) den „starken“ Gründer. Und treffen auf eine sensitive Frau. Das ist für viele Menschen, die es nicht anders kennen, irritierend bis abschreckend.

ver.de Gründerin Marie unterwegs mit dem Fahrrad

Welche Erfahrungen bringen Dich heute weiter? Welche Kompetenzen braucht man, um eine Versicherung* zu gründen?

Ich habe jahrelang bei einem großen Versicherungshaus gearbeitet. Dort habe ich sowohl fachliche Erfahrung gesammelt als auch Führungskompetenzen erlangt. Das sind Erfahrungen und Kenntnisse, die sich in meiner heutigen Position als unabdingbar erweisen.

Wer neue Ideen hat und gründen will, muss vor allem ein großes Durchhaltevermögen haben. Für eine Zulassung als Versicherung sind hohe Summen an Kapital notwendig. Das Aufbringen von großen Mengen an Kapital braucht Willensstärke und einen langen Atem. 

Auf meinem Weg hat sich mein Einfühlungsvermögen, meine Kreativität sowie meine Neugierde Menschen kennenzulernen und Neues auszuprobieren als sehr hilfreich erwiesen. In einem Start Up muss man probieren, hinfallen, aufstehen, neu machen. Neue Ansätze zu finden und neue Techniken zu nutzen, ist manchmal gar nicht so einfach.

Was ist vor allem gelernt habe: Es braucht die richtigen Menschen, die den Weg mit Dir gehen. Menschen, die selbst von der Idee selbst überzeugt sind. So machen nicht nur Erfolge mehr Freude, sondern auch Rückschläge sind leichter zu verkraften.

Seit der Gründung ist viel passiert. Wie groß ist Euer Team und was habt Ihr bisher erreicht?

In unserem Team sind wir jetzt zu siebt und bereits breit aufgestellt. Wir haben beispielsweise Kernkompetenzen in der IT, im Underwriting, der Produktgestaltung, der Online-Kommunikation, der Buchhaltung und der Versicherungstechnik.

Dazu kommt unser toller Aufsichtsrat der ver.de Genossenschaft und der ver.de Aktiengesellschaft, der ver.de mit einem umfangreichen Wissen zu rechtlichen Fragen, dem Genossenschaftswesen und politischen Themen tatkräftig unterstützt.

Und nicht zu vergessen: Unser Nachhaltigkeitsbeirat, der extern unsere Wirkung prüft und uns in Sachen Nachhaltigkeit berät.

Um bis zur Gründung der ver.de Versicherung* unser Team klein zu halten, haben wir darüber hinaus vor allem externe Partnerschaften. Das gilt beispielsweise für den Vertrieb, den Datenschutz oder aufwändigere Bildgestaltung.

Natürlich waren wir nicht immer so viele. Denn bis heute ist viel passiert. Wir haben die ver.de Genossenschaft aufgebaut und den CHECK entwickelt. Mit dem ver.de CHECK bringen wir Kund*innen mit Expert*innen auf dem Gebiet der nachhaltige Finanzberatung zusammen und ermöglichen unseren Kund*innen so einen sinnvollen Zugang zu diesem Markt.

Außerdem haben wir unser erstes Produkt ver.de BIKE entwickelt und eingeführt. Bei uns kann man sein Fahrrad jetzt gegen Unfall, Sturz, Vandalismus und Diebstahl sichern lassen. Ein wichtiger Erfolg sind außerdem unsere ersten Vertriebspartner*innen und Firmenkunden. Wir haben erste Referenzen und tolle Pressekontakte. Diese Grundlage ermöglicht es uns jetzt, weiter zu wachsen!

Ihr vermittelt über den ver.de CHECK Kund*innen an Finanzberater*innen. Könnt Ihr auch selbst beraten? Welche Qualifikationen haben die Mitarbeitenden?

Nein, wir beraten nicht selbst. Unser Schwerpunkt ist das Thema Versicherung. Das können wir richtig gut.

Eine gute Finanzberatung erfordert andere Qualifikationen. Trotzdem kommen immer wieder Menschen auf uns zu und fragen, wo sie eine ehrlich nachhaltige Geldanlage bekommen – einen „grünen Anstrich“ hat ja inzwischen fast alles.

Deshalb haben wir den ver.de CHECK kreiert: So „matchen“ wir ausgewählte Finanzexpert*innen, die sich bestens im nachhaltigen Bereich auskennen und viel Erfahrung haben, mit Kund*innen, die sich für mehr Nachhaltigkeit bei ihren Finanzen interessieren.

Diese Berater*innen sind wie wir: Sie machen Nachhaltigkeit aus Überzeugung und schon lange – auch bevor das Thema im Marketing „beliebt“ wurde.

Zudem müssen sie folgende Kriterien erfüllen:

  • Unabhängigkeit von Produktanbieter*innen
  • bedarfsorientierte Beratung
  • proaktive Ansprache der Bedeutung der Nachhaltigkeit im Finanzwesen für eine nachhaltige Entwicklung
  • Vermittlung und/oder Beratung nur innerhalb der eigenen Kompetenzen
  • Beachtung aller geltenden Gesetze und Regulierungen, insbesondere auch zum Datenschutz
  • fortlaufende Fortbildung
  • Transparenz zu Ertragsmöglichkeiten, Kosten, Risiken und Nachhaltigkeitsaspekten
  • belegbares Engagement für eine Nachhaltige Entwicklung (z. B. aktive Teilnahme bei einer gemeinnützigen Organisation)

 

Unsere Mitarbeitenden vermitteln also an für die individuellen Bedürfnisse passende Finanzberater*innen weiter und kümmern sich außerdem um den Aufbau der ver.de Versicherung*.

Kann man beim ver.de CHECK jemanden vor Ort treffen, um sich beraten zu lassen?

Du kannst im Buchungsprozess angeben, was Dir bei der Beratung wichtig ist. Das gilt sowohl für konkrete Fragen, die Du klären möchtest, als auch für das Gespräch an sich. Wenn Du den Beratungsort als Wunsch beim ver.de CHECK direkt mit angibt, ist es möglich, eine Beratung vor Ort zu bekommen – voraussichtlich, es gibt eine*n nachhaltige*n Finanzberater*in in Deiner Nähe.

Wenn wir Deine Wünsche nicht erfüllen können, erstatten wir Dir das Geld aber auch zurück.

Das ver.de Büro

Ihr bezeichnet Euch selbst als erste nachhaltige Versicherung* Deutschlands. Bei klassischen Finanzinstituten gibt es auch nachhaltige Fonds. Was macht Ihr anders?

Der Unterschied ist, dass wir von Tag 1 transparent und nachhaltig aufgestellt sind. Das heißt, dass wir bei allen Kapitalanlagen von Anfang an genau auf die Wirkung des Geldes geachtet haben.

Der Großteil der nachhaltigen Geldanlage wird nach dem Prinzip der „Ausschlusskriterien“ bewertet. Das bedeutet, dass bestimmte Branchen oder Länder nicht finanziert werden – wie beispielsweise die Waffen- oder Pornoindustrie.

Das ist ein guter erster Schritt. Aber: Nur weil ich keine Waffenlieferungen finanziere, heißt das nicht, dass etwas Positives gefördert wird.

Deshalb setzen wir auf das Konzept des „Impact Investings“. Das heißt: Wir schauen ganz genau, welche tatsächliche Wirkung eine Anlage hat – und wählen die Anlage, die eine messbar positive Wirkung für Natur, Klima und Gesellschaft mit sich bringt.

Und ein weiterer Unterschied: Wir legen das Ergebnis transparent auf unserer Webseite offen und befürworten Mitbestimmung der Community und Feedback.

Nachhaltige Fonds machen das meist nicht. Sie bieten eine Ansparmöglichkeit für Kund*innen. Wir legen das Geld hingegen als Sicherheit für unsere Kund*innen an. So können wir das Risiko gegen Diebstähle, Unfall, Sturz und Vandalismus von Fahrrädern tragen und lassen das Geld nebenbei noch die Welt positiv gestalten.

Ihr seid genossenschaftlich organisiert und werbt für den Kauf von Genossenschaftsanteilen. Was bringt eine Mitgliedschaft bei ver.de?

Als Mitglied der ver.de eG beteiligst Du Dich  am Aufbau von ver.de als Versicherungsunternehmen*. Dieses Modell der Genossenschaft ist uns wichtig, denn nur so bauen wir eine Versicherung* auf, die nicht nur Wenigen, sondern Vielen – uns allen – gehört. Wenn ver.de profitabel ist, hat jedes Mitglied auch Anteil am Erfolg, sowohl in der Mitbestimmung als auch bei den Ausschüttungen. Und das kann sich lohnen!

Aktuell bietet ihr eine Fahrradabsicherung an. Was ist eure Pläne? Sollen noch mehr Produkte dazu kommen oder bleibt es bei der Fahrradabsicherung?

Wir wollen schnellstmöglich ein Versicherungsunternehmen* werden und ein breites Spektrum an Versicherungen anbieten. Die Fahrradabsicherung ist also das Startprodukt. Aber da kommt noch mehr: Hausrat, Haftpflicht, betriebliche Produkte – wir wollen das volle Sachversicherungs-Spektrum abdecken.

Und noch mehr: Wir wollen die aktuellen Bedürfnisse der Menschen abdecken, auch in Sachen Klima und Nachhaltigkeit. So überlegen wir bsp. bereits zu Produkten für die Kreislaufwirtschaft, extremen Wetterereignissen oder Erneuerbare Energie. Wir wollen vor den tatsächlichen Risiken schützen und gleichzeitig nachhaltiges Wirtschaften fördern.

Welche Produkte wir genau anbieten werden, kannst Du in einer Abstimmung direkt auf unserer Startseite mitentscheiden.

Du bist der Meinung, die Finanzwelt muss sich verändern. Mit der Gründung von ver.de hast Du einen ersten Schritt getan. Reicht das? Was muss sich Deiner Meinung nach noch ändern?

Kund*innen müssen erkennen, welche Wirkung ihr Geld hat und wie sie es verantwortungsbewusst einsetzen können. Das gilt insbesondere bei der Wahl der Finanzpartner*innen, die in unserer Gesellschaft das Mark und Rückgrat unserer Wirtschaft bilden. Der Gesetzgeber muss Vorgaben machen, die es erschweren, keine Wirkung oder eine negative Wirkung für die Gesellschaft und den Planeten mit Investitionen zu erzielen. Zum Schluss ist es auch wichtig, dass die „Guten“, die ehrlich nachhaltig und sozial handeln, besser zusammenarbeiten. Nur gemeinsam können wir viel bewirken.

*Erst nach vollständiger Finanzierung und der Zulassung durch die BaFin dürfen wir uns als „Versicherung“ bezeichnen.

Maya Krystosek

Maya Krystosek

Maya studiert Internationale Wirtschaft und Entwicklung an der Universität Bayreuth und hat sich innerhalb ihres Studiums auf die Bereiche soziale Ungleichheiten und Wirtschaftspolitik fokussiert. Neben ihrem Hauptstudium hat Maya sich im Rahmen des Zusatzstudiums „Intersektionalitätsstudien und Diversity-Kompetenzen“ mit den strukturellen Dimensionen von Unterdrückung beschäftigt. Das Berücksichtigen von vielseitigen Perspektiven hält sie für einen wichtigen Aspekt, wenn es um die Mitgestaltung der Gesellschaft geht. Dafür setzte sie auch bei ihren ehrenamtlichen Engagements (bei HeForShe Bayreuth und dem Klimaentscheid Bayreuth) ein. Um nachhaltig soziale Ungleichheit und strukturelle Unterdrückung abzubauen, ist der Wandel der Finanzwirtschaft ein sehr wichtiger und häufig noch unterschätzter Aspekt.

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